Geschichte, Gegenwart und Zukunft des digitalen Nomadentums
Geschichte, Gegenwart und Zukunft des digitalen Nomadentums
Grundlagen für das Leben eines digitalen Nomaden sind vor allem die nötige Technologie, flexible Möglichkeiten zum Reisen und Arbeiten und eine unterstützende Gemeinschaft bzw. die gesellschaftliche Akzeptanz. Im Lichte dieser 3 Punkte habe ich die Geschehnisse der letzten Jahrzehnte betrachtet und aufbereitet. Eine großartige Abhandlung zur Geschichte des digitalen Nomadentums gibt es auf dem Blog Almost Fearless. Weitere Angaben stammen aus den verschiedensten Quellen, darunter mein persönliches "Archiv" und Statistiken der ITU (international Telecommunication Union) zur Anzahl der weltweiten Internetnutzer. Also dann, viel Spaß beim Erforschen der Geschichte des digitalen Nomadentums.Kurze Vorgeschichte zur Entwicklung der Arbeit
Es war einmal der Selbstversorger - Vor der Industrialisierung produzierten Menschen nicht viel mehr, als für den Eigenbedarf benötigt wurde. Der Handel und das frühe Unternehmertum war der gebildeten Oberschicht vorbehalten, die sich auch Angestellte leisten konnte. Die industrielle Revolution in Deutschland verzehnfachte die gesellschaftliche Produktion zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Aus ländlichen Unterschichten wurde die arbeitende Bevölkerung. Bauern und Handwerker zogen in die Städte und Familienbetriebe entwickelten sich zu großen Konzernen. Mit der Industrialisierung beginnt das Phänomen der Arbeitslosigkeit und zudem wird das Wochenende eingeführt. Fabriken entstehen und Menschen arbeiten wie austauschbare Roboter am Fertigungsband. Zu Krisenzeiten nehmen Auswanderungen zu und die Begriffe Tagelöhner und Wanderarbeiter werden geprägt.Wanderarbeiter als frühe Form der digitalen Nomaden? Wanderarbeiter waren wohl keine altertümliche Form des digitalen Nomadentums, haben aber auch häufig ihren Standort gewechselt und Hab und Gut mitgenommen. Jedoch sind sie der Arbeit gefolgt, anstatt wie heutige digitale Nomaden die Arbeit mitzunehmen.
Das 20. Jahrhundert war geprägt durch Urbanisierung, Kapitalismus und der Entstehung der uns heute bekannten Berufsformen. Damit einher gingen auch Sozialgesetze wie die Altersvorsorge und gesetzliche Krankenversicherung, die klassische Berufsausbildung und die Bildung von Gewerkschaften. [caption id="attachment_427" align="aligncenter" width="581"] Die Industrialisierung macht Menschen im 19. Jahrhundert zu produktiven Fabrikarbeitern[/caption] Im Allgemeinen ist der heutige Arbeitsmarkt in den USA und in GB relativ frei, wobei in Europa stärkere Regulierungen herrschen. Dies drückt sich unter anderem durch Kündigungsschutzregelungen, Mitbestimmungsrechte und Mindestlöhne aus. Obwohl sich Arbeitsmodelle weiterentwickelt haben, gab es seit der industriellen Revolution keinen großen Bruch beim Produktionsfaktor Arbeit. Ausbildungsberufe, 40-Stunden Woche, geregelter Urlaub, feste Arbeitszeiten und Arbeitslosigkeit bestimmen den Arbeitsalltag der Massen. Aufgrund der technologischen Entwicklung und einem neu aufkommenden Freiheitsdenken in unserer Generation zeichnet sich jedoch seit einiger Zeit ein neuer Trend ab, wenn auch nicht in allen Branchen und die gesamte Bevölkerung).70er bis 90er Jahre - Fundament für digitale Technologien
Jahrtausendwende - Internet wird massentauglich gemacht
2002 - Erste Erwähnungen von Langzeitreisenden
10,7% Menschen weltweit sind online (37,7% in Industriestaaten / 48,82% in Deutschland)
Friendster ist das erste ernstzunehmende soziale Netzwerk und wird zum Facebook seiner Zeit. Starbucks ist eines der ersten großen Unternehmen, die in Ihren Cafés kostenloses Wi-Fi anbieten. Rolf Potts "Vagabonding - An Uncommon Guide to the Art of Long-Term Travel" handelt nicht vom digitalem Nomadentum, wird aber zur Vorlage für viele Langzeitreisende.2003 - Skype verbindet Menschen weltweit
12,3% Menschen weltweit sind online (41,5% in Industriestaaten / 55,9% in Deutschland)
Skype ist das erste Unternehmen, das VoIP massentauglich macht und damit die weltweite, kostenlose Kommunikation für die Massen ermöglicht. LinkedIn wurde gegründet und geht im folgenden Jahr live. Einführung von Google Adsense, das heute die größte Werbeplattform im Internet ist.2004 - Soziale Netzwerke sind geboren
14,1% Menschen weltweit sind online (46,3% in Industriestaaten / 64,73% in Deutschland)
Das Web 2.0 in der heutigen Form mit vielen interaktiven Seiten und Applikationen entwickelt sich. "The Facebook" wird gegründet, jedoch erst 2006 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Erste Social Media Seiten wie Reddit und Digg entstehen.2005 - Freelancer bekommen ein digitales Zuhause
15,7% Menschen weltweit sind online (51,3% in Industriestaaten / 68,71% in Deutschland)
Mit oDesk startet die nächste große Outsourcing-Plattform, die Freelancer und Unternehmen verbindet und ortsunabhängiges Arbeiten leichter macht als je zuvor. Die Video-Sharing Plattform YouTube geht live.2006 - Erste "echte" digitale Nomaden
17,5% Menschen weltweit sind online (53,5% in Industriestaaten / 72,16% in Deutschland)
Technomedia startet und wird zur Ressource für viele Nomaden. Der Reiseblogger Where the hell is Matt wird zum YouTube Star und verdient Geld mit Sponsorships. Über 1 Billion Internetnutzer weltweit. Jack Dorsey gründet Twitter.2007 - Die "4-Stunden Woche" startet eine Bewegung
20,6% Menschen weltweit sind online (59,1% in Industriestaaten / 75,16% in Deutschland)
Tim Ferris schreibt die "4-Stunden Woche" und das Buch wird zur Inspiration einer gesamten Generation. Der Begriff "Location independent" wird von Leo Woodward auf dem gleichnamigen Blog geprägt. Das iPhone von Apple erscheint und damit das erste echte mobile Internet.2008 - Bildung einer Gemeinschaft
23,4% Menschen weltweit sind online (61,3% in Industriestaaten / 78% in Deutschland)
Communities wie Travel Bloggers Exchange und NuRVers entstehen und werden zum Treffpunkt für Reiseblogger und digitale Nomaden. Die realen (inflationsbereinigten) Preise für Flüge sind in den letzten 20 Jahren drastisch gefallen. Flugsuchmaschinen und Online-Buchungen machen das Reisen sehr viel einfacher und preisgünstiger. Erste Co-Working Spaces für ortsunabhängige Arbeiter entstehen in Deutschland (u.a. das betahaus in Berlin). Besonders Berlin entwickelt sich zur deutschen Hochburg und erfreut sich auch bei digitalen Nomaden aus aller Welt zunehmender Beliebtheit.2009 - Große Unternehmen beteiligen sich
26,5% Menschen weltweit sind online (64,7% in Industriestaaten / 79% in Deutschland)
National Geographic führt den Digital Nomad Blog ein, der auch heute noch populär unter Reisenden ist. Dell folgt mir der Seite "Digital Nomads" über ortsunabhängige Technologien, die ein Jahr später wieder eingestellt wird. Die erste TBEX Conference (Travel Blog Exchange) findet in Chicago statt. Chris Brogan und andere starten die Seite workshifting.com, die später von Citrix übernommen wurde. Beitrag in der Computerworld: "Is digital nomad living going mainstream"2010 - Digitales Nomadentum wird kommerzialisiert
29,7% Menschen weltweit sind online (68,8% in Industriestaaten / 82% in Deutschland)
Die Digital Nomad Academy verkauft den Traum vom ortsunabhängigen Leben und Arbeiten für einen monatlichen Beitrag zwischen $47 und $97 (ursprünglich $1.500).2011 - Starker Zuwachs der Gemeinschaft
34,7% Menschen weltweit sind online (73,8% in Industriestaaten / 83% in Deutschland)
Keith Jenkins startet iAmbassador, um Reiseblogger und passende Marken zu verbinden. Blogger werden durch Reiseunternehmen finanziell unterstützt und arbeiten als Markenbotschafter. Neue Technologien wie die Cloud und Services wie der digitale Briefversand machen das ortsunabhängige Arbeiten immer angenehmer.2012 - Digitales Nomadentum wird erwachsen
36% Menschen weltweit sind online (2,4 Milliarden Internetnutzer)
Unternehmen wie die Navigate Media Group und Vereinigungen wie die Professional Travel Bloggers Association bilden sich, um Unternehmen und individuelle Blogger zu verbinden und für ein professionelleres Auftreten zu sorgen. Telefonica führt eine weltweite Umfrage zur Generation der Zukunft durch. Key Findings: Die "Millennials" sind technikversiert, in der lokalen Gemeinde engagiert und werden stark durch neue Technologien beeinflusst. Auf oDesk wurden im Jahr 2012 insgesamt 1,5 Millionen Jobs gepostet. Christine und Drew Gilbert produzieren die Dokumentation "The Wireless Generation" und sammeln damit über $37.000 auf Kickstarter ein.2013 - Die Realität holt uns ein
39% Menschen weltweit sind online (77% in Industriestaaten)
TBEX wird an Blog World verkauft. Immer mehr Reiseblogger schreiben bezahlte Artikel und nehmen Sponsorships von Unternehmen entgegen. Artikel von BBC und in der New York Times berichten über einen Wandel von Reiseblogs und diskutieren die Ethik von Bloggern, hinsichtlich der Finanzierung ihrer Reisen durch große Unternehmen. Ende 2013 hat Elance 3 Millionen registrierte Freelancer und 1,5 Millionen Auftraggeber ( Global Online Employment Report). Deutsche Unternehmen sind unter den Top-10 Auftraggebern. Beim Marktführer oDesk sind es sogar 4,5 Millionen Freelancer. Adam Baker und 4 weitere Personen drehen die Dokumentation " I'm fine, Thanks". Die 5-köpfige Crew interviewt auf einem Road-Trip durch die USA Personen, die ihr Leben drastisch geändert haben und aus konventionellen Erwartungen der Gesellschaft ausgebrochen sind.2014 - Digitales Nomadentum auch in Deutschland etabliert
Heute gibt es bereits viele deutsche Nomaden, die mit ihren (Reise)-Blogs durchaus ein volles Einkommen verdienen. Unter anderem gehören dazu Patrick von 101places.de, Conny von planetbackpack.de, Tim von earthcity.de und Marcus und Feli von travelicia.de. Im Mai 2014 findet die erste Konferenz für ortsunabhängiges Arbeiten und Leben in Berlin statt. Unter dem Namen DNX 2014 wird das Treffen einen großen Teil dazu beitragen, dass die Bewegung der digitalen Nomaden auch in Deutschland ernster genommen wird. Die internationale Gemeinschaft von digitalen Nomaden ist bereits mobilisiert und alles andere als eine Randerscheinung. Eine einfache Google Suche nach "digital nomad" liefert mir heute fast 10 Millionen Suchergebnisse, ein Beweis dafür, dass das digitale Nomadentum dem Mainstream-Status näher kommt. Besonders in Südostasien und Südamerika lassen sich digitale Nomaden für eine begrenzte Zeit nieder, um an Projekten zu arbeiten, sich in der Gemeinschaft auszutauschen und neue Länder zu entdecken. Die zahlreichen Informationen und verfügbaren Technologien ermöglichen es heute jedem, ein ortsunabhängiges Leben zu führen und eine online-basierte Arbeit auszuführen. Einzig das Finden von guten Informationen und die nötige Hingabe bleiben eine Herausforderung.Ein Blick in die Zukunft
Im Jahr 2020 werden geschätzte 43,7% der Weltbevölkerung das Internet nutzen.
[caption id="attachment_372" align="alignright" width="300"] New York Times Artikel: "Travel Blogging Today: It’s Complicated"[/caption] Wie entwickelt sich die Arbeit? Werden mehr Unternehmen auf Freelancer zugreifen? Bewährt sich das Modell des digitalen Nomadentums? Und bleiben digitale Nomaden ihren Werten treu? Fakt ist, dass Unternehmen spezialisierte Fachleute benötigen. Arbeiter sollen vor allem preisgünstig, flexibel und Experten in ihrem Gebiet sein. Die starre traditionelle Ausbildung kann die Ansprüche von weltweit agierenden Unternehmen nicht komplett erfüllen. Die alternative Anstellung von Freelancern ist flexibel, der Anstellungsprozess ist schnell und aufgrund der Zeitverschiebung ist sogar ein 24-Stunden-Tag möglich. Ich glaube, dass sich vor allem Freelancer in den nächsten Jahren vermehren werden. Besonders jüngere Unternehmen werden zunehmend Arbeitsmodelle wie Remote Working oder Telecommuting einführen. Die große Frage ist, ob die Anzahl an Reiseblogs, Affiliate Seiten und sonstigen kleinen "Online Businesses" unaufhaltsam weiterwächst oder ob die Internetgemeinschaft bald übersättigt damit ist. Ein Risiko besteht wohl in der Vermischung von authentischer, persönlicher Berichterstattung und kommerziellen Einflüssen. Sobald Unternehmen einen zu starken Einfluss auf Blogger gewinnen, wird sich über kurz oder lang wohl auch die Leserschaft abwenden. Zudem werden durch die zunehmende "Aufklärung" der Allgemeinheit immer mehr Nischen überfüllt und irgendwann muss das Angebot an Informationsfluten ein Ende haben. Theoretisch kann jeder zum digitalen Nomaden werden. Praktisch gesehen würde das System dann natürlich nicht mehr funktionieren. Was denkst du? Hat das Modell des digitalen Arbeiters eine Zukunft oder besinnen sich Unternehmen auf traditionelle Werte zurück? Denkst du, dass im Grunde jeder zum Online-Unternehmer werden kann oder hat dieser Trend irgendwann ein Ende? Ich bin brennend an deiner Meinung interessiert.